Karma, Karma, Karma Chamäleon – Kapitalismus und Dreads

Ich werde vermutlich im Laufe dieses Artikels einen relativ hohen Blutdruck bekommen. Sollte ich mich also mal in meiner Sprache vergreifen, so tut es mir leid. Aber es gibt da so eine Hass-Liebe zwischen mir und dem Internet, bzw. Social Media. Es ist großartig, dass Menschen ihre Meinung kundtun können. Dabei wird aber auch einfach viel Unsinn in die Welt gebracht. Vor allem aber schwingen sich manche User*Innen zum Robin Hood der Gesellschaft auf. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um die allgemeine Gesellschaft handelt oder die Welt der Dreadheads. Man würde zwar meinen, dass die im Geiste verbundenen alternativen Menschen ein Niveau finden, auf dem man kommunizieren könnte. Aber weit gefehlt. Bildung schützt vor Dummheit nicht und Dreads nicht vor Hate-Speech.

Vor allem ein Thema stößt bei manchen Dreadheads immer wieder auf blanke Wut: Geld. Kapitalismus. Die Welt von AGBs und Löhnen. Schließen sich Dreadlocks und Unternehmen automatisch aus? Muss man von der Hand in den Mund leben, nur weil man Dreads hat? Alles boykottieren oder aber rein da in den Kapitalismus und es von innen heraus besser machen?

 

Darf man Geld für das Erstellen von Dreadlocks nehmen?

Darf man Geld für´s Autofahren nehmen? Warum muss ich den Busfahrer bezahlen? Der macht das doch gern! So ein kapitalistischer Arsch. – das hat niemals jemand gesagt, warum macht man Unterschiede zwischen den Dienstleistungen? Menschen müssen von etwas leben und nur weil sie viel dafür getan haben, ihre Leidenschaft zum Beruf machen zu können, heißt das nicht, dass sie weniger Wert ist, man weniger Zeit, Geld, Kraft und persönliche Einbußen investiert hat.

Mit der Erstellung von Dreadlocks ist es wie mit jeder anderen Dienstleistung: sie ist etwas wert, sie kostet Zeit und Aufwand und ja, auch Dreadmacher*Innen müssen Miete zahlen. Manche machen das ganze als Nebenjob. Andere hauptberuflich. Wieder andere starten damit ihr eigenes Unternehmen. Alle haben eines gemeinsam: sie machen ihre Arbeit gern und müssen dennoch ein Honorar dafür bekommen. Wie viel die Arbeit nun wert ist, das sollten vor allem die Ersteller selbst entscheiden. Aber hier mal eine Aufschlüsselung von einem gtypischen Honorar eines/r Dreadstylist*In der DreadFactory:

bei 25 Euro die Stunde sind es, wenn man im Durchschnitt 2 Erstellungen ( 2 Tagespauschalen von – sagen wir mal – 250€ für 8-10 Stunden) und 3 Pflegetermine in der Woche hat, rund 2.840 Euro brutto. Davon gehen 454 € Umsatzsteuer und etwa 350 € Betriebskosten (Bewirtungs- und Fahrtkosten, Telefon, Miete, Werbungskosten etc) ab. Weiter müssen 316 € Einkommenssteuer und 17€ Soli, 28€ Kirchensteuer, 14€ IHK, 327 € GKV, 51€ GPV für Selbstständige und 10€ Betriebshaftpflicht. Das sind dann 1.237€, die übrig bleiben. Altersvorsorge? Was ist das?

Höa? Die Alte, die da 8 Stunden meine Dreads erstellt hat, darf gar nicht das ganze Geld behalten? Hö? Das ja krass. Dann bleibt ja irgendwie doch gar nicht mal so viel übrig. Gut, dass die ihren Job gern machen, denn sonst… ja was sonst?

Wenn es keine Profis mehr gäbe

Stellen wir uns vor, User*In XY hat es geschafft, mit einem Shit-Storm das professionelle Dreaderstellen so weit in den Dreck zu ziehen, dass die Profis sagen: „Weißte was? Ich geh schaukeln.“ Was wäre dann?

Es gäbe natürlich noch die, die das privat machen. Ich mag die. Es ist gesellig, ungezwungen, irgendwie fast freundschaftlich. Und es gibt viele verdammt gute private Dreadersteller*Innen. Und eben solche, die es schwarz machen und deswegen weniger Geld verlangen können. Aber was habe ich als Kunde/Kundin nicht? Das Recht auf Reklamation. Wenn mir also jemand Dreads erstellt und nach einer Woche seh ich auf dem Kopf aus wie ein Hühnerhintern, dann muss ich da entweder selbst Hand anlegen, den oder die Dreader*In bitten, da nochmal nachzuarbeiten oder aber den Rasierer rausholen. Es ist wie mit jeder anderen Dienstleistung auch: du kannst es von einem gewerblich arbeitenden Menschen machen lassen und als Kunde/Kundin dein Recht auf bestimmte Zusatzleistungen wahrnehmen oder Geld sparen und diese dann nicht bekommen. Beides ist völlig legitim. Naja, nicht vor dem Staat, denn Schwarzarbeit unterstützen ist in Deutschland genauso strafbar wie selbst schwarz zu arbeiten. Was ist aber so schlimm daran, wenn jemand damit das Geld für deinen Lebensunterhalt verdient? Und das unter fairen Bedingungen? Wenn seine oder ihre Arbeit einfach verdammt gut ist und er oder sie auch noch eine richtig gute Geschäftsfrau/mann? Ab mit dem Kopf? Pfui Deibel, Geld?

Ohne „Profis“ gibt es übrigens auch niemanden mehr, der sich intensiv mit der Materie beschäftigt. Also mehr, als jemand, der das eben ein bisschen nebenbei als Hobby macht. Berufliche Dreadstylist*Innen arbeiten stetig daran, Techniken zu verbessern und neues zu entdecken. Gäbe es diese Menschen nicht, gäbe es vermutlich einige coole Dinge wie bestimmte Verlängerungstechniken oder Einteilungsmuster nicht. Wer fuchst sich in seiner Freizeit schon so sehr in die Dreadlocks-Thematik hinein, dass er für nahezu alle Probleme eine Antwort kennt?

Was genau bedeutet Kapitalismus?

Die gesamte Bandbreite des Kapitalismus hier aufzuführen, würde den Umfang eines Magazins weit überschreiten. Deswegen versuche ich einfach mal, das ganze kurz zu fassen.

Kapitalismus beschreibt laut Marx eine Wirtschaftsform, die darauf beruht, dass ein Kapital (Geld, Land, Waren) mehr wert ist, als die einzelnen Produktionsmittel. Daher ist das Konzept des Kapitalismus hier ein ausbeuterisches System, weil das Endprodukt nur durch die Arbeitskraft einen Mehrwert erhalten kann. Angestellte werden zwingend unterbezahlt.

Weitere Merkmale ist nach Marx auch die Entfremdung und die damit einhergehende verkümmernde Schaffenskraft der Menschen.

Und was ist dieses Karma eigentlich?

Per Definition beutet Karma nicht anderes als das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das bedeutet, dass jede Handlung einen Effekt hat. Das bedeutet nicht, dass du vom Universum belohnt oder bestraft wirst. Es macht also gar keinen Sinn, ganz mantramäßig „Karma is a bitch“ zu wiederholen. Und nein, nur weil man Geld verdient, wird man nicht vom Schicksal gefickt. Karma, in der alltäglichen Anwendung bedeutet zum Beispiel: ich erstelle Dreads und sie gehen auf -> du beschwerst dich -> ich häkle sie nach, sofern es mein Verschulden war. War es aber dein Verschulden, weil du zum Beispiel Blondierung in die Dreads geklatscht und sie nicht ordentlich ausgewaschen hast, dann -> Karma sagt: ich muss nicht nachhäkeln. Wenn ich allerdings völlig verschnarcht war an dem Tag, bin ich so fair und sehe es als meine Pflicht, meinen Fehler wieder gutzumachen. Denn sonst gibst du mir eine schlechte Bewertung.

Um nun den Bogen zum Anfang zu spannen: wenn jemand eine schlechte Bewertung abgibt, heißt das heutzutage leider nicht mehr, dass der oder die Ersteller*In der Dreads den Fehler gemacht hat. Es werden Behauptungen in die Welt gesetzt, die oftmals relativ wenig mit der Realität zu tun haben. Und das betrifft nicht nur die Dreadszene. Es ist ein weitbekanntes Phänomen. Und bei jeder Beschwerde ist es nur fair, wenn man die Chance gibt, Stellung zu beziehen. Da zählt es auch nicht eine Schnute zu ziehen und „Trotzdem. Ich habe aber gehört, dass das anders ist!“, zu maulen.

Polarisiert: kapitalistische Kackscheiße DreadFactory?

Ich brenne förmlich darauf, der Gründerin von der DreadFactory ein paar Fragen zu stellen. Denn sie polarisiert. Dadurch, dass sie Deutschlands größtes professionelles Dreadlocks-Unternehmen in die Welt gebracht hat, steht die DreadFactory immer wieder in der Kritik. Aber: was ist Wahrheit und was Illusion, wie es bei X-Faktor immer so schön hieß? Begleiten Sie mich auf die Reise der Phänomene…

Liebe Bine, danke dass du dir Zeit nimmst, dich ein paar Fragen auszusetzen.

First things first: wie viel verdienst du und wie viel arbeitest du überhaupt? Und was eigentlich? Machst du noch Dreadlocks? (Das war nicht mit der Tür, sondern mit der gesamten Fassade ins Haus gefallen)

42 Stunden pro Woche und knapp über 1.000 Euro netto pro Monat. Davon ist zwar noch keine Altersvorsorge oder Miete bezahlt, aber die DreadFactory ist halt mein Baby und es geht mir nicht nur um’s Geldverdienen, sondern vor allem darum, dass ich meinen Job liebe. Aber dass ich davon leben kann, finde ich natürlich toll. Mittlerweile arbeite ich fast ausschließlich administrativ. Für’s Dreadlocksmachen habe ich deswegen leider nur noch super selten Zeit.

Ich habe oben in einer Beispielrechnung schon aufgeschlüsselt, wie viel jemand, der selbständig arbeitet, an steuerlichen und bertrieblichen Abgaben hat. Aber sind eure Dreadstylisten denn nicht angestellt?

Wir sind ein Netzwerk aus selbstständigen Dreadlocksmacher*Innen, die alle eine gemeinsame Philosophie vertreten und unter dem gleichen Namen arbeiten. Angestellt sind eigentlich nur diejenigen, die im Hintergrund arbeiten, aber auch hier sind ein paar Freelancer dabei.

Unter uns: Prada, Hugo Boss, Gucci? Wo kaufst du ein?

Mauerpark Flohmarkt in Berlin. Manchmal auch auf dem Flow-Markt in Now-Kölln.

Warum second-hand?

Zunächst mag ich erstmal das Flair auf den Berliner Flohmärkten und liebe es gerade im Sommer, dort zu flanieren. Es ist immer eine tolle Stimmung mit ganz vielen Künstlern und Kunsthandwerkern – deswegen gehe ich unheimlich gern dahin. Aber eigentlich brauche ich gar nicht so viele Klamotten, sodass ich auch nicht ständig shoppen gehe oder so. Ich trage auch echt noch viele Kleidungstücke, die ich vor 10 Jahren gekauft habe. Aber: ich habe einen Hugo Boss Blazer Second Hand gekauft. Also, um auf deine Frage zurück zu kommen: Hugo Boss! (lacht). Außerdem mag ja auch den original used Look einfach. Wenn Klamotten einen Charakter haben. Und die findet man vor allem auf Flohmärkten.

Wie empfindest du es, als Unternehmerin der breiten Social Media Welt ausgesetzt zu sein?

Ich bin social media technisch eher ruhiger geworden. Das habe ich ja mittlerweile an dich abgegeben, Judith, aber ich lese beispielsweise total gerne in Gruppen und Foren und fachsimpel über Dreadlocks.

Welche Rechte haben Kunden bei dir?

Alles, was ein*e Verbraucher*In an Rechten hat natürlich. Und darüber hinaus haben wir einen sehr adäquaten Kundendienst, der alle individuellen Anfragen mit viel Liebe beantwortet, um alle unsere Kunden/Kundinnen und die, die es gerne werden möchten, glücklich zu machen und zufrieden zu stellen.

Wie sieht es aus mit Mutterschutz?

Unsere Dreadstylistinnen dürfen natürlich auch in den Mutterschutz gehen. In dieser Zeit sollen sie sich lieber schonen, weil Dreadlocksmachen eine sehr anstrengende Sache ist und sie sich so auch körperlich auf ihr(e) Kind(er) konzentrieren können.

Ich möchte gar nicht zu sehr ins Detail gehen, denn ein Interview über die Gründung der DreadFactory und warum Bine lieber Maracujasaft trinkt als Bier erfährst du hier (Link) (eigentlich haben der Saft und das Bier nichts miteinander zu tun, aber es hat sich gereimt..)

Wenn dir das ganze nicht gefällt oder zu teuer ist, geh nicht hin. Das ist ungefähr so, als würdest du dich bei Facebook mal so richtig über Social Media auslassen. Als würdest du jeden Tag im Stau stehen und dich darüber beschweren, dass so viele Menschen Auto fahren. Als würdest du dir das Billigfleisch wegziehen und jammern, dass das Klima schlechter wird. – whoops!

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