Fernweh ist wie Liebeskummer

Um das mal vorwegzunehmen: Ja, Zuhause ist es auch schön. Mein ich ernst. Durch die letzten Wochen habe ich es sehr zu schätzen gelernt, den Wald vor der Tür zu haben und weiß um das Privileg, eine tolle Familie und eine Tischtennisplatte zu haben. Aber. Aber ich finde es trotzdem okay meinem Fernweh jetzt Mal Ausdruck zu verleihen, denn obwohl mich die letzte Zeit gelehrt hat, wie glücklich ich mich schätzen kann und wieviel Schönheit vor der Tür liegt, habe ich auch gemerkt, wie schnell der Horizont klein wird. Wie schnell die Welt zusammenschrumpft. Wie schnell man den Blick nur noch auf sich und die nächste Umgebung richtet. Deshalb habe ich ein paar Erinnerungen an den letzten Sommer rausgekramt, als geschlossene Grenzen und Reisewarnungen uns allen nie möglich schienen:

Auf zu neuen Wegen

E-Mail-Postfächer sind ja bekanntlich die Müllhalden unserer Gesellschaft. Ich sitze also da und lösche eine Werbemail nach der anderen (in meinem Spam-Ordner landet alles nur nicht der Spam), und fast wäre auch diese Mail in die Untiefen des Papierkorbs befördert worden, weil ich wirklich nicht mit ihr gerechnet hatte: Die EU verlost jedes Jahr kostenlose Interrailtickets an 18-jährige und ich hatte eins davon gewonnen. Jippiiiiee! Einen Monat lang kostenlos Zug fahren in ganz Europa, fremde Orte sehen, Sprachen hören, Sonnenbrand kriegen und sich hoffnungslos verlaufen! Was kann es Schöneres geben!

In den nächsten Monaten wich dann allerdings die Vorfreude der Verunsicherung. Mein Rucksack ist wetten zu klein und mein Englisch zu schlecht und ich kann keine Stadtpläne lesen und was, wenn ich mein Handy verliere oder die Masern bekomme und überhaupt bin ich noch nie alleine verreist und Mammaaaaaa! Ja, meine Mama konnte mir in dieser semiexistenziellen Krise jetzt auch nicht weiterhelfen und die Tatsache, dass es viel zu schade wäre, das geschenkte Ticket nicht zu nutzen und die Chance verstreichen zu lassen, ließ mich schließen meinen Rucksack packen und aufbrechen. Etwas panisch zwar, aber doch voller Vorfreude.

Raus aus der Komfortzone

Als Ziele Hatte ich mir Österreich, Ungarn und Polen ausgesucht, getreu dem Motto „von den Bergen bis ans Meer“ sollten mich die Gleise Europas von Innsbruck bis Danzig befördert. Spoiler alert: alles Panikschieben war umsonst. Es ist natürlich Mal was schiefgegangen. Klar hab ich mich zwischendurch Mal alleine gefühlt. Aber ist es nicht genau das, was das Leben ausmacht? Auch auf das Risiko hin, dass es superscheiße wird aufzubrechen. Sich zu trauen, ohne Garantie. Auf dem Weg habe ich so einiges gefunden und verloren. Gefunden: tolle Menschen, neue Blickwinkel, die Motivation, polnisch zu lernen, Blumen, Ideen, Horizonte…und noch so einiges mehr.
Verloren: meine Angst, dass alleine unterwegs sein Einsamkeit bedeutet, meine Häkelnadel, die Orientierung (keine Sorge, ich hab sie immer wieder rechtzeitig wiedergefunden) und die engen Grenzen meiner Komfortzone (natürlich sind sie noch da, aber mit Sicherheit etwas weiter als vorher). Vielleicht gehört zu meiner Komfortzone, sie ab und zu zu verlassen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Aber das hatte ich nie herausgefunden, wenn ich darin geblieben wäre.

Übrigens: Da schon gefragt wurde, den „Yes I have Dreads and yes I wash my hair“-Rucksack auf den Bildern gibt’s HIER.

Dreadlocks verbinden

Was hat das jetzt alles mit Dreadlocks zu tun? Naja, auf den ersten Blick Garnichts. Aber meine Dreads haben mir ‘ne große Portion Selbstbewusstsein mitgegeben. Sie haben mir geholfen, mit anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen, meine „Blind-Dates“( ich hatte mich über Facebook mit anderen Interrailern verabredet) zu organisieren (ähm ja, woran erkenne ich dich?) und mir lange Zugfahrten wunderbar vertrieben (als ich meine Häkelnadel noch hatte). In Krakau hat mich jemand gefragt, was mich hierhin führt. Wir haben uns unterhalten und Ich habe von meiner Reise erzählt. Er meinte  „yeah, your hair looks like you’re doing something amazing.“ Natürlich haben Frisuren nichts damit zu tun, was für „amazing“ Sachen man macht. Dreadlocks machen dich nicht zu einem anderen Menschen. Aber für die Geschichte meines Sommers gehören sie dazu.

Habt ihr auch manchmal die Tendenz, euch lieber gar nicht an schöne Sachen erinnern zu wollen, weil die Sehnsucht so unangenehm sein kann? Meine Mutter würde sagen: Fernweh ist wie Liebeskummer: muss man kultivieren. Träumen, auch wenn‘s weh tut, nur dann fühlt man sich lebendig.
Also: lasst uns den Blick für die Welt nicht verlieren. Denn auch wenn sie gerade stillzustehen scheint, geht das Leben weiter. Irgendwie. Irgendwann.

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